Nachrichten
Kinder spüren, wann ihre Eltern ängstlich werden
Kinder kriegen mit, was in der Welt passiert, und sie haben Fragen. Ein Gespräch mit Eva Radlicki über kindgerechte Berichterstattung in den Medien. Sie zählt zum Gründungsteam der Kindernachrichtensendung „logo!“ und leitete 25 Jahre lang die Kinderinformationsprogramme beim ZDF.
Wir erleben gerade eine sehr angespannte Nachrichtenlage weltweit. Wie gehen Kinder damit um?
Im Gegensatz zu vielen Erwachsenen gibt es bei Kindern eigentlich keine Nachrichten-Junkies. Klar sind sie happy, dass es mit „logo!“ auch Nachrichten gibt, sie scha!en sich aber selbst immer wieder eine Distanz, indem sie spielen gehen oder Quatsch machen. Das ist eine tolle Eigenschaft, die zum Glück die meisten haben. Auf der anderen Seite haben Kinder ein sehr gutes Gespür, wenn ihre Eltern ängstlich werden. Das kann für sie extrem belastend werden, denn dann möchten sie wissen, warum das so ist. Sie wollen das verstehen, und sie haben Fragen dazu. Wenn diese allerdings niemand beantwortet, bekommen Kinder Angst. Nicht aber, weil man ihre Fragen beantwortet hat.
Was passierte am 24. Februar 2022 in der „logo!“-Redaktion: An dem Tag, als Russland begann, die Ukraine anzugreifen?
Es war ja relativ schnell klar, dass das wirklich ein außerordentliches Ereignis ist. Deshalb haben wir die Kinder aufgerufen, uns ihre Fragen zu schicken. Die Sendung haben wir an den darauffolgenden Tagen anhand dieser Fragen gebaut. Wir haben uns von den Kindern sagen lassen: Das ist das, was wir unbedingt wissen wollen.
Und was war die drängendste Frage?
Kann der Krieg zu uns kommen? Wir haben uns Expert*innen gesucht, die in der Lage waren, die Fragen der Kinder kindgerecht und einfach zu beantworten. Es gibt bei „logo!“ ein geprüftes und bewährtes Regelwerk, wie man in solchen Situationen berichtet. Das fängt bei den Bildern an, sie dürfen nicht schlaflos machen. Wir zeigen keine Nahaufnahmen von Menschen, die auf Menschen schießen, und wir zeigen keine Bilder von Menschen aus der Nähe, die stark verletzt sind.
»Eigentlich mag ich das Wort Augenhöhe nicht so gerne«
Kindernachrichten begegnen Kindern ja am besten auf Augenhöhe und mit viel Wertschätzung. Wie vergewissert ihr euch, dass das gelingt?
Eigentlich mag ich das Wort Augenhöhe nicht so gerne, weil es bedeutet, sich herabzubeugen. Als erwachsene Journalistin weiß ich in der Situation ja tatsächlich mehr und will es jemanden näherbringen, der weniger weiß. Dann finde ich auf Augenhöhe in Ordnung, da ich mich mit meinem Wissen auf Augenhöhe begebe und es erkläre. Ich finde es wichtig, sich immer noch mal zu vergewissern, wenn man für Kinder arbeitet: Wo passt das Wort auf Augenhöhe, und wo geht es um einen gleichberechtigten Dialog?
„logo!“ gibt es ja nicht nur im Fernsehen und im KiKA-Player, sondern auch bei Social Media*. Auf welchem Hauptausspielweg siehst du die Kindernachrichten in der Zukunft?
Ich glaube, dass es mehrere Ausspielwege sein werden und nicht nur ein Hauptausspielweg. Und dass es eher eine mobile Nutzung sein wird, als gemeinsam als Familie zu Hause zu einer fixen Uhrzeit vor einem Fernsehapparat. Das ist ja heute schon nicht mehr so.
Inwiefern wird sich die Rezeption von Nachrichten bei Kindern weiter verändern?
Wovor ich ein bisschen Angst habe ist, dass auch Kinder in Blasen verschwinden, in denen Realitäten entstehen, die wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben. Ehrlich gesagt weiß ich nicht so ganz, wie man sie davor bewahren kann. Wir versuchen in unseren Sendungen immer wieder zu erklären, wie Medien funktionieren, wie viel Fake-News es gibt und wie viel Hass im Netz entsteht. Denn plötzlich stehen da Wahrheiten, die gar keine sind, oder es werden Beweise geliefert, die, wenn man genau hinschaut und sie prüft, keine sind. Ich befürchte, dass es immer mehr Glaube an Fake News geben wird – auch bei Kindern.
Was macht ihr denn in der Redaktion, um wirklich alle Kinder, also nicht nur die aus gutbürgerlichen Haushalten, zu erreichen?
Um sie alle zu erreichen, finde ich es wichtig, dass sie in den Sendungen vorkommen. Wir müssen Kinder in Interviews oder Beiträge zeigen, deren Mama und Papa nicht Lehrerin oder Banker sind. Wir müssen nach Kindern mit Eltern aller Berufsgruppen suchen, mit migrantischen Wurzeln, aus Land und Stadt, aus Ost und West, Süd und Nord. Alle Kinder müssen sich selbst in den Formaten wiederfinden, denn wer sich bei uns nicht findet, der kann natürlich auch zurecht sagen: Geht ja gar nicht um mich – warum soll ich denn das angucken?
Gibt es etwas in der Berichterstattung für Kinder, das du lieber heute als morgen umsetzen oder verändern würdest?
Ich wünsche mir, dass Kinder in der breiten Berichterstattung für Erwachsene viel häufiger mitgedacht würden. Das heißt nicht, dass sie die Zielgruppen sind, die sich das angucken sollen. Es geht ums Mitdenken: Was macht das Ereignis, über das wir berichten, mit Kindern? Ich fände es großartig, wenn dies häufiger stattfinden würde. Zum Beispiel die Berichte der ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf, die in Afghanistan auch sehr berührende Gespräche mit Kindern geführt hat. Einfach im Sinne: Wir gucken auf das ganze Dorf. Wir gucken nicht nur darauf, was ein Ereignis mit Erwachsenen macht.
Bräuchten Kinder generell eine Lobby?
Ja, und gerade wir als Medienscha!ende dürfen nicht nachlassen, das anzumahnen. Auch bei unseren „logo!“- Anfragen an Expertinnen, Experten, Politikerinnen und Politiker, denen wir sagen müssen: Nein, das ist nicht ‚nur‘ niedlich, sondern es ist absolut ernsthaft und wichtig. Wir brauchen sie in ihrer Kompetenz im Dialog mit den Kindern. Insofern sehe ich es schon als unsere Aufgabe an, diese Verantwortung klarzustellen.
* „logo!“ gibt es auch bei Instagram (seit 2018),
bei YouTube (seit 2021) und bei TikTok (seit 2022)