Inklusion

Wo sind die Menschen mit Behinderung?

Wir brauchen mehr junge Held*innen in den Kinderprogrammen, die nicht nur aufgrund ihrer Behinderung etwas Besonderes sind. Das wünscht sich die Journalistin und Aktivistin Judyta Smykowski. Mit ihrem Online-Magazin „Die Neue Norm“ will sie das Thema Behinderung nicht länger nur im Charity- und Wohlfahrtsbereich besprechen, sondern in die Mitte der Gesellschaft bringen.

In Deutschland leben rund 10,4 Millionen Menschen mit einer Behinderung, über 100.000 davon sind im Alter zwischen vier und 15 Jahren.

Das heißt, rund zehn Prozent der Bevölkerung hat eine Behinderung. Doch im öffentlichen Leben und in den Medien sind diese Menschen kaum sichtbar, sagt Judyta Smykowski. „Man kann sich schon fragen: Wo sind sie? Wo sind die behinderten Menschen?“ Aus ihrer Sicht leben wir in Deutschland noch sehr exklusiv. „Wir leben das Gegenteil von Inklusion.“ Es gibt viele parallele Strukturen, mit Sonderschulen, mit Behindertenwohnheimen, mit Werkstätten – „also sehr, sehr viele Sonderplätze, wo behinderte Menschen leben“, sagt sie und will mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass sich das ändert.

Es braucht den Eigenblick und den inklusiven Blick Exklusiv

leben macht es leicht für Menschen ohne Behinderung und umso schwerer für Menschen, die zum Beispiel im Rollstuhl sitzen, die nicht sehen, nicht hören können oder eine geistige Behinderung haben. „Weil wir im Alltag eben nichts mit ihnen zu tun haben, ist es auch gar nicht so natürlich, Menschen mit Behinderungen zu Wort kommen zu lassen.“ Doch so bleibe ihr Einblick in den Berichterstattungen meistens auf der Strecke, beklagt die Aktivistin und Journalistin. Deshalb appelliert sie immer wieder an die Professionalität von Medienschaffenden und Autor* innen. Deren Aufgabe sei es, sich und ihre Arbeit zu hinterfragen: Trifft das, was ich mir hier gerade ausdenke, auch zu? Ist das aus dem Leben gegriffen oder ist es total weit hergeholt? Hier immer wieder den Realitätscheck zu machen, sei ein großer Gewinn. „Es ist einfach unser Job, mit den Menschen zu reden“, sagt Smykowski. „Und das machen wir aber auch sehr gerne, weil wir eben nicht wollen, dass weiterhin Klischees weitergetragen werden.“

Ihre Aufgabe als Expertin auf diesem Gebiet sieht sie darin, Drehbuchideen auch mal etwas gerade zu rücken und ein bisschen aufzuklären. Es freut sie, wenn Medienschaffende auf sie und ihr Team bei „Die Neue Norm“ zukommen und um Rat fragen – sowohl für fiktionale als auch für non-fiktionale Angebote. „Wir sind ja ein Team aus behinderten und nicht behinderten Menschen, die alles mitbringen, um da wirklich Lösungen zu finden“, erklärt sie. Häufig höre sie den Satz: „Ja, in meiner Familie gibt es jemanden, der behindert ist.“ Oder: „Ich bin mit jemandem aufgewachsen, oder ich kenne jemanden.“ Diese Menschen seien Verbündete, die einen inklusiven Blick haben, die Barrierefreiheit auch verstehen und mitdenken können. „Ich würde mir wünschen, dass wir alle dieses Wissen hätten und dass es breiter in die Gesellschaft getragen würde.“

Ihr Appell richtet sich auch an die Sender, mit der Hoffnung, dass es künftig mehr einfache Programme und Regeln gibt, Menschen mit Behinderung sichtbarer zu machen. Hier sieht sie vor allem die Öffentlich-Rechtlichen in der Pflicht.

Die Kinder von heute sollten in einer inklusiveren Gesellschaft aufwachsen, wünscht sie sich, und glaubt, dass die Generation Alpha schon mehr Vorbilder habe als frühere Generationen. „Allerdings würde ich mir da noch viel mehr wünschen, dass sie zum Beispiel nicht in Heldengeschichten dargestellt werden, in denen sie nur der Behinderung wegen die Helden sind, sondern durch Können, durch ihre Motivation, durch Glück oder durch Übung und Training.

Wie müsste eine barrierefreie Welt für die Generation Alpha aussehen?

Gerade für die neue Generation wäre es schön, wenn man aufwachsen würde in dem Wissen, man kann jederzeit jede Art von Inhalten abrufen, in einer Version, in der man sie braucht, mit Untertitel, in Gebärdensprache, in Leichter Sprache oder mit Audiodeskription. Doch bis dahin sei es noch ein weiter Weg, sagt Judyta Smykowski.

Judyta Smykowski ist Journalistin und Leiterin des Online-Magazins „Die Neue Norm“ sowie des Projekts „Leidmedien. de“. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich vorwiegend mit den Themen Inklusion und intersektionaler Feminismus.