Interview
„Wichtig ist uns Archäologen, zu vermitteln, dass die Menschen nicht einfältiger oder ideenloser waren als heute.“
Interview mit Dr. Regine Maraszek über die Bronzezeit, die Himmelscheibe von Nebra und „Ach du heilige Scheibe – Die Abenteuer von Mimo und Leva“
Die neue KiKA-Animationsserie „Ach du heilige Scheibe – Die Abenteuer von Mimo und Leva“ (KiKA/MDR/hr/BR/SWR/WDR) erzählt von den Geschwistern Leva und Mimo, die mit ihrer Familie während der Bronzezeit in einem kleinen Dorf leben. Um den Alltag vor etwa 3.600 Jahren möglichst historisch akkurat zu präsentieren, wurden die Autor*innen der Serie von Dr. Regine Maraszek unterstützt. Sie ist Archäologin und Kuratorin für Frühe Metallzeiten im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) und begleitet die Himmelscheibe von Nebra seit ihrem Bekanntwerden.
Leva möchte in der Serie gerne Bronzegießen lernen und sogar Anführerin des Dorfes werden. War das in der Bronzezeit für eine Frau möglich? Und welche Bedeutung hatten Frauen in dieser Zeit?
Wenn man nach der Bedeutung der Frauen fragt, gibt es immer zwei Seiten: das ist heute so und war auch früher wahrscheinlich so. An den Grabfunden der Bronzezeit erkennen wir heute die Bedeutung einer Person: Es gab die reich ausgestatteten Fürsten und weniger reich ausgestattete politische Würdenträger – solche, die zum Beispiel einem Dorf vorstanden. Das waren in Mitteldeutschland nur Männer, keine Frauen. Allerdings wissen wir, dass in dieser Zeit Frauen weit gereist sind und sich in fremden Regionen niedergelassen haben. Ein Mädchen aus dem Schwarzwald starb zum Beispiel in Dänemark, eine ungarische Dame in Niedersachsen. Man erklärt das heute mit Heiratsverbindungen und Allianzen. Die Archäologie ist eine sehr konservative Wissenschaft. Was nun tatsächlich zwischen den Menschen in den Familien passiert ist, im Privaten, kann ganz anders ausgesehen haben. Warum sollten Männer und Frauen dort nicht auf einer Ebene miteinander geredet und gleichberechtigt gelebt haben? Das versuchen Menschen doch seit Jahrtausenden.
Wie sah der typische Alltag von Kindern während der Bronzezeit aus?
Kinder waren Teil der Gemeinschaft und hatten sicher von Anfang an wichtige Aufgaben zu übernehmen. Sie haben alles über die Natur lernen müssen, über die Selbstversorgung, vom Kaninchenjagen bis zum Wolle weben. Sie mussten ganz sicher auch aufräumen, den Müll entsorgen und auf die kleineren Geschwister und Großeltern achten. In einer schriftlosen Welt muss man alle Dinge im Kopf haben, auch damals hieß es also: lernen, lernen, lernen.
Die Himmelscheibe von Nebra umranken viele Mythen und Interpretationen. Worin liegt Ihrer Meinung nach die Bedeutung der Himmelscheibe?
Die Himmelscheibe beweist uns, dass auch damals in ganz Europa Wissen und Ideen kursierten – sie ist das älteste Bild der Welt. Sie zeigt auf, dass die Menschen sich Gedanken um ihren Platz im Kosmos, den Lauf der Gestirne und des Lebens gemacht haben. Das hat man vorher für diese Zeit nicht angenommen.
Welche Bedeutung hat und hatte die Himmelscheibe von Nebra für Mitteldeutschland?
Die Himmelsscheibe ist Welterbe – das heißt, sie ist weltweit einer der bedeutendsten Funde aus der Bronzezeit. Damit weckt sie das Interesse an der eigenen Vergangenheit, die hier, im Herzen Europas stattfand. Sie gibt den Menschen in der Region einen ganz eigenen Stolz auf ihre Vergangenheit, auf das Land, in dem sie leben. Und weckt gleichzeitig den Wunsch, mehr darüber zu erfahren und sich für die Erhaltung und den Schutz der archäologischen Denkmale einzusetzen.
Was begeistert Sie persönlich besonders an der Bronzezeit?
Für die Bronzezeit sind charakteristisch: technischer Fortschritt, weitreichende Beziehungen, Austausch von Objekten und Ideen über Tausende Kilometer, in vielen Regionen blühende Landschaften, in denen die Leute friedlich lebten. Daneben eine fabelhafte Schmiedekunst und eine besondere, hohe Ästhetik in Bildwerken. Dass alles fasziniert mich. Dazu kommt, dass die ersten Ausgrabungen, an denen ich als Kind teilnahm, auf den bronzezeitlichen Urnenfeldern meines Heimatlandes Brandenburg stattfanden. So etwas vergisst man nicht.